nahe am wasser: Einladung zu bleiben

nahe am wasser: Einladung zu bleiben

Gerlinde Roidinger war im September für ihre 12-tägige Residency am Schiff Eleonore: Das von vorneherein selbst gestellte Thema „bleiben“ hat sich dabei sukzessive von einer Studie von Körperpräsenzen zu einer nach außen gerichteten „Einladung zu bleiben“ gewandelt.

 

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In einer grundsätzlichen Ausrichtung von Kritik an Tempo und Schnelllebigkeit hat Gerlinde Roidinger ihre Arbeit unter das Motto „nahe am wasser“ gestellt – und bereits im ursprünglichen Konzept hat die an ungewöhnlichen Orten interessierte Tanzschaffende das Thema „bleiben“ und „stehen.bleiben“ verankert. Gerlinde Roidinger widmete sich dabei mit ihrem Arbeitskonzept: "einem physisch-sozialen Körperkonzept der Umkehrung von Wahrnehmung und Geschwindigkeit. Während der Fluss des Alltags unregelmäßige und dynamische Bewegungsmuster bietet, soll in einem dynamisch reduzierten Bewegungskonzept die Langsamkeit als monoton wahrnehmbares und auf den ersten Blick unveränderliches Phänomen bearbeitet werden. Ebenso geht es um eine Arbeit mit Kontrasten von bewegten und unbewegten Elementen, wiederkehrenden und fortlaufenden Bewegungsmustern – und um Körperstudien, die Veränderungen der Körperlichkeit dokumentieren".

 

Gerlinde Roidingers Arbeit bezieht sich dabei stark an der Wahrnehmung von Bewegungsflüssen und Örtlichkeiten … und nichts ist nahegelegener, als auf diesem Schiff, an diesem Platz zwischen stehendem und fließendem Wasser das Gegensatzpaar Stillstand und Fluss zu reflektieren. In der Umsetzung bedeutete das zuerst eine Etablierung des eigenen Körpers am Ort des Geschehens: Bereits das Ankommen  am Schiff wurde zu einer Studie des Einnehmens. Mit einer fotodokumentarischen Arbeit wurde das Betreten zu einem undramatischen „Entern“, zu einer Eroberung von Räumlichkeit und eigener Anwesenheit. Die Körper- und Bewegungsstudien, die sich mit diversen räumlichen Positionierungen am Schiff und in der näheren Umgebung beschäftigten, blieben Teil des Konzeptes. Die Bewegungsqualität wurde dabei einer Verlangsamung in Richtung „stehen bleiben“ unterzogen, die somit hart am Nullpunkt herumlaborierte – und in einer beobachtenden Übertragung von Außenreizen in den langsamen, eigenen Körper aufgenommen wurde. Dieses, durchaus als kritische Botschaft zu lesende  Statement mäanderte irgendwo zwischen „stehen bleiben“, „bleiben lassen“,  „bleiben können“  und an einem Ort „bleiben wollen“ herum – ergänzt mit der opulenten Sinnfrage: „Was kann an diesem Ort hier von mir bleiben?“ Dass sich die Eleonore als spezieller Arbeitsraum und als Hafenort an der Peripherie bestens für derartige Körperpräsenz-Studien eignet, ist selbstredend.

 

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Was bedeutet aber die prozesshaft angelegte Idee, letzten Endes die „Einladung zu bleiben“? Gerlinde Roidinger war einerseits selbst für zwei Wochen Residency eingeladen, den Ort zu nutzen. Sie hat andererseits zusätzlich ein Gästekonzept mitgebracht, das Gelegenheit für weiteres Betreten des Schiffes durch andere Menschen bedeuten konnte: Zuerst war das eine Kollegin. Zunehmend formte sich die Idee aber zu einer zufälligen Einladung an Menschen von außerhalb, einen Moment aufs Schiff zu kommen und für kurze Zeit hier sein zu können. Immer ging es um körperliche Präsenz, Wahrnehmung und die Frage: „Was bedeutet es, zu bleiben, stehen zu bleiben?“. In größtmöglicher Unaufgeregtheit und durch den Filter der momenthaften Körperlichkeit gezogen haben sich dann sukzessive teils zufällig angesprochene, teils eingeladene Menschen für einige Minuten einen Platz am Schiff gesucht, um dort kurz am Wasser zu sein; und haben sich danach zumeist ins Gespräch mit der Künstlerin begeben. Dabei war Gerlinde Roidinger der Prozess der reduzierten Form wichtig, um möglichst nah am Research zu bleiben und auch dem Ort und den Menschen nichts aufzusetzen, was lediglich konstruiert wäre. Ebenso wichtig war in gewisser Weise die Bearbeitung eines sozialen Floatings: gegen die rauschhaft angelegte Geschwindigkeit, gegen eine Praxis der produkthaften Herstellung von Dingen und Situationen; und für eine Idee von grundsätzlich anderem Timing und fürs Verweilen; und für ein selbstverständlicheres, miteinander zu verfertigendes Ganzes, das eben nur durch Einladung, Anwesenheit und Gespräch geschehen kann – und nicht durch einseitige Aufforderung zum schnellen Konsum. Dass sich dabei bei angesprochenen Passanten vielleicht kurz Misstrauen regte, was denn nun auf dem Schiff mit ihnen passieren werde, bzw. ob sie „eh nichts unterschreiben“ müssen oder anderwärtig über den Tisch gezogen werden, kann nur am Rande mit dem so genannten schanghaien zu tun haben, eine Gepflogenheit aus dem 18. Und 19. Jahrhundert, bei dem Teile der Schiffsbesatzungen heimtückisch und gewaltsam rekrutiert wurden, indem sie zusammengefangen wurden und danach nicht mehr vom Schiff konnten. Gerlinde Roidinger hat sich im Gegenteil nach dem Körperpräsenzdienst ihrer Kurzgäste auf dem Schiff ganz ordentlich bedankt, und die wiederum bei ihr auch: Schließlich ist das ja alles only art, baby.

 

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Wie nun präsentieren? – diese Frage trieb auch schon so manche der vorangehenden Künstlerinnen auf der Eleonore um, und gehört in Nachbetrachtung wohl zu den spannendsten Komponenten der tanz- und körperbezogenen Residencies auf der Eleonore. Denn auch wenn nicht herkömmlich präsentiert werden musste, und dies durch die Örtlichkeit und das Research-Format gar nicht möglich ist, ist Außenwirkung für alle Teilnehmerinnen eine zentrale Frage. Und die mögliche Präsentation stellte sich dabei zumindest als so etwas wie ein Prozess-Beschleuniger in Sachen eigener Themenstellung heraus. Zuerst seien hier die Dinge angeführt, die Gerlinde Roidinger hinsichtlich darstellender Kunstpraxis nicht wollte: Eine Mimikry einer Bühnensituation, und sei es auch im Sinne von site-spezifischer Bespielung; eine Weiterführung der Teilung in Kunst und Publikum; die klassische Präsentation und  Vermittlung von Inhalt an eine unpersönlich definierte Zuschauerschaft. Herausgekommen als Außenwirkung ist dann etwas, das am besten als weiterführende Installation zu allem oben Genanntem gelesen werden kann: Gerlinde Roidinger wird unter dem Motto „Einladung für drei Minuten zu bleiben“ an einem Tag im Herbst auf der Eleonore Menschen empfangen, die für einige Minuten auf der Eleonore, an diesem wunderschönen Ort im Winterhafen, sein wollen. Jeder Gast ist dabei Publikum – und wird als Publikum wieder zum Gast und zum Teil eines Geschehens ohne Gefälle: kein Gefälle zwischen Präsentation und Zuseherschaft, kein Gefälle zwischen Kunst und Alltag, und kein Gefälle zwischen geteilter und ungeteilter Aufmerksamkeit! Weiterhin und über längere Zeit wird es diverse Aufrufe geben, sich gegen Voranmeldung für ein paar Minuten auf der Eleonore einzufinden. Theoretisch könnte das über Jahre gehen und würde ein konsequent langfristiges Angebot in einer kurzlebigen Zeit bedeuten. Das alles könnte ohne Frage eine Umwertung von Zeit und Aufwand aussagen. Oder es könnte ein Angebot auf kurze Unterbrechung einer beinahe verzweifelten Umtriebigkeit darstellen, die ja nicht wenigen Menschen unbekannt ist. Es könnte ein soziales Floating thematisieren, und ein kurzes Stehenbleiben, mit einer anschließend sicher möglichen Behauptung: „Ich war hier“.

 

Von Gerlinde Roidinger selbst bleibt auf der Eleonore sozusagen: die Einladung zu bleiben. Der Research über das Thema wird in ihre nächsten Arbeitsvorhaben einfließen, dann aber mit der Thematisierung von „stehen.bleiben“ auf einen Bühnenraum transformiert werden. Zuallererst geht es aber themenspezifisch weiter mit ihrer  Teilnahme beim Projekt „StadtkomplizInnen“, das im Herbst in Linz umgesetzt wird.   

 

Logbuch von Gerlinde Roidinger hier.

s/w-Fotos: Mirek Dworczak

Gerlinde Roidinger hat im September ihre 12-tägige Residency am Schiff absolviert. Das Thema „bleiben“ hat sich dabei sukzessive von einer Studie von Körperpräsenzen zu einer nach außen gerichteten „Einladung zu bleiben“ gewandelt.